Ein bergischer Fundi


... mit Dickkopf


Harald Wolfert (Grüne) kandidiert für den Landtag, aber der Fortbestand von Rot-Grün in Düsseldorf steht für den Burscheider nicht im Vordergrund.


Rhein.-Berg. Kreis. Es ist ein denkwürdiger Tag in der Parteigeschichte der Grünen. Tief in der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 2002 entscheidet sich auf der Bundesversammlung der Grünen die Zukunft von Claudia Roth und Fritz Kuhn. Die Satzungsänderung, die den beiden Vorsitzenden erstmals erlaubt hätte, zugleich Bundestagsmandate zu haben, verfehlt die notwendige Zweidrittelmehrheit um acht Stimmen.

Roth und Kuhn müssen ihre Parteiämter aufgeben. Mit einem Dringlichkeitsantrag hatten die rheinisch-bergischen Grünen zuvor gegen die Satzungsänderung opponiert. Der maßgebliche Antragsteller hieß Harald Wolfert.

Ich bin ein renitenter Mensch, auch innerhalb der Grünen", sagt er. "Wenn du eine Meinung hast, dann geradeaus sage es auch und halte damit nicht hinter dem Berg." Selbst eine Einladung von Claudia Roth nach Berlin hat den heute 48-Jährigen im Vorfeld der Bundesversammlung nicht einschüchtern können: Er hielt an seinem Antrag fest.

"Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass die Grünen eher eine Oppositionspartei sind und keine Regierungspartei", sinniert er. Gerade als kleinerer Koalitionspartner müsse man "viele Kröten schlucken". Nein, er will die Grünen im Land nicht auseinander dividieren lassen. Aber die Kollegen in Düsseldorf seien "zu sehr auf die Regierung fixiert". Wenn es die alten Lager noch gäbe, wäre er dann ein Fundi? "Ja, natürlich." Joschka Fischer hört er gerne reden.

"Er hat Charisma, ist hoch intelligent und spritzig. Man kann viel von ihm lernen. Aber inhaltlich trennen mich von Joschka Welten." Als sich Fischer beim letzten Landesparteitag im Kölner Gürzenich erstmals ausführlich zur Visa-Affäre geäußert hat, hat sich der Burscheider nicht erhoben, um ihm stehend zu applaudieren.

Zu Hause bei Wolferts, in Linde, dreht sich vieles um Politik. "Jeden Tag am Mittagstisch wird diskutiert", erzählt der zweifache Familienvater. "Es ist wichtig, die Kinder für Politik zu sensibilisieren." Er selbst hat "schon immer" mit den Grünen sympathisiert. Sogar der alte Indianerspruch "Erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fluß vergiftet und der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann" ist bei ihm noch nicht von der Zimmerwand verschwunden. Aber erst seit 1997 ist er offizielles Mitglied.

"Damals wollten SPD und FDP den alten Burscheider Bahnhof abreißen lassen." Wolfert, seit jeher den alten Dingen zugetan, klappert alle Parteien ab. Bei den Grünen findet er Unterstützung für seinen Protest gegen den Abriss. "Der Bahnhof steht heute noch."

Dann geht alles ganz schnell. Nach der Kommunalwahl 1998 zieht Wolfert als sachkundiger Bürger in den damaligen Planungsausschuss ein. 2003 rückt er für Ulrike Pirotton in den Burscheider Stadtrat nach. Seit der Kommunalwahl im vergangenen Jahr ist er auch noch Kreistagsmitglied. Schon seit fünf Jahren fungiert er darüber hinaus als Sprecher der Kreisgrünen, ist Landesund Bundesdelegierter und gehört dem etwa 80-köpfigen Landesparteirat an, dem höchsten Parteigremium zwischen den Parteitagen. Eine Ämterhäufung, die einem Fundi eigentlich nicht gut zu Gesicht steht. Das sei "einfache Notwendigkeit", verweist er auf die dünne Personaldecke der Grünen im Kreis.

Gegen den "Flächenfraß"

Die hält auch als Erklärung für seine Landtagskandidatur her. "Jetzt musst du als bescheidener Rhetoriker kandidieren", fühlte er sich in die Pflicht genommen. Und hat auch gleich sein Hauptthema entdeckt: "die Verhinderung des Flächenfraßes". Das sei das größte Problem, das in den nächsten 20 Jahren auf uns zukomme. "In Wuppertal stehen 6000 Wohnungen leer. Wer Geld hat, zieht aufs Land." Der ökologische Schaden sei enorm: nicht zur wegen der Zersiedlung der Landschaft, sondern auch wegen des wachsenden Verkehrs. "Denn die Menschen arbeiten in den Metropolen."

Innerhalb der Grünen sieht er sich als den Einzigen, der dieses Themenfeld besetzt. "Selbst Michael Vesper nimmt sich der Sache nicht an." Dabei müsse endlich gegengesteuert werden. Wolfert denkt an eine modifizierte Grundsteuer, die nicht mehr auf dem Wert des Objektes, sondern auf seinem Flächenverbrauch basiere.

Die Landeszuweisungen sähe er am liebsten an eine ökologische Komponente gekoppelt, um den aus seiner Sicht sinnlosen Kampf der Kommunen um mehr Einwohner zu beenden. "Schon heute ist NRW mit 22 Prozent versiegelter Fläche Spitzenreiter in Deutschland."

Eng damit verbunden ist für ihn die Forderung nach der Verkehrswende. Dass er sich die Reaktivierung der Bahnlinie 411 (in modernerer Form) auf die Fahnen schreibt, ist selbstverständlich. Bei fünf Millionen Pendlern täglich nur ein ÖPNV-Anteil von elf Prozent, das sei zu wenig.

Dass er nicht immer mit dem Kopf durch die Wand kann, hat er inzwischen gelernt. "Aber bei Grundsatzfragen, da verweigere ich mich." Nachdem der Parteitag in Rostock 2001 den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gebilligt hatte, "haben wir in Rhein-Berg knapp 40 Prozent der Mitglieder verloren". Die Zahl sank von 220 auf 130; inzwischen liegt sie wieder bei 168. Dass wir die Erde nur von unseren Kindern geborgt haben, ist noch immer der Lieblingsslogan des Pazifisten.

"Aber ich kann das Leben auch genießen", versichert der erklärte Autodidakt. In der Familie, beim Musikhören ("Mein Musikzimmer ist technisch sehr gut bestückt"), in der Sauna oder in Finnland, "meiner zweiten Heimat", findet der Liebhaber alter Möbelstücke ein Stück Abstand vom Politiktreiben.

Am 22. Mai, da geht es Wolfert nach eigenen Worten um ein gutes Ergebnis der Grünen, nicht um den Erhalt der Regierung. Auch wenn er nicht als Zählkandidat antritt, im Landtag wird er so oder so wohl kaum mitmischen: Auf der Landesliste belegt der Burscheider Platz 36.

06.04.05
Von Ekkehard Rüger